Musik

Konzertnervbirnen #10: Der Mitfilmer

Wir lieben Konzerte und verbringen unsere Abende gerne in der Gesellschaft Gleichgesinnter vor einer Bühne. Aber wir wollen euch an dieser Stelle auch nicht nur in Euphorie und Watte kuscheln. Deshalb gehen wir mit dieser Kolumne dahin, wo es wehtut – und stellen uns direkt neben die schlimmen Menschen, die einem auch das beste Konzert versauen können. In der zehnten Folge nimmt sich Musikjournalist und Autor Linus Volkmann den Mitfilmer vor, der einem mit seinem verdammten Handy den ganzen Auftritt versaut. Illustration: Alexandra Ruppert

noch mehr Konzertnervbirnen

Ist mal wieder ganz schön eng im Club, doch man hat vorgesorgt und sich einen guten Platz mit freiem Blick zur Bühne gesichert. Hinter einem Typ, der sogar etwas kleiner ist als man selbst. Dann kann’s ja losgehen. Tut es irgendwann auch – aber Moment, warum sieht man denn plötzlich doch nur die Hälfte?

Na, weil man auf ein grelles Handy-Display blickt, das der Vordermann nun wie auf ein unsichtbares Zeichen hin über den Kopf hält. Gut, was soll man machen? Wenn jemand unbedingt ein verschwommenes Konzertfoto als Selbstvergewisserung benötigt … dann möge es halt so ein. Man ist ja kein Unmensch und sowieso ganz entspannt und privat hier. Fotografieren und fotografieren lassen ist das Motto.

Okay, von entspannt kann nach einem Song mit Handy direkt im Blickfeld nun nicht mehr die Rede sein. Auch die Vorstellung, es würde halt nur „mal kurz was weggeknipst“, hat sich verflüchtigt und ist folgender Gewissheit gewichen: Dieser labile Voll-Hund da vor mir, der filmt tatsächlich den Auftritt mit, oder was? Sowas soll es ja geben, aber man ist doch immer wieder überrascht, wenn einem so ein Exemplar direkt vor der Nase steht.

Der Impuls ist klar: Am liebsten würde man ihm das verdammte Smartphone runterreißen und brüllen: „Sie haben mir direkt vorm Gesicht gefilmt. Das dürfen Sie nisch!“ Aber Hand aufs Herz, möchte man wirklich rüberkommen, wie eine musikinteressierte Version des legendären Dresdner Hutbürgers? Nein, zumindest nach außen gilt es, jetzt die Contenance zu wahren.

Schwer fällt das, wahrlich schwer. Vor allem wenn man selbst zwangsläufig auf den Bildschirm des Anstoßes starrt. Denn es ist ja nicht so, als würde man hier Kamera-Genie Michael Ballhaus bei der Arbeit beiwohnen. Nein, auf dem Display sieht man die Katastrophe doch schon: Auf diesem Endlos-Clip ist kaum was zu erkennen, alles unscharf, wackelig und viel zu dunkel. Dieser Mitschnitt findet sein Grab im Handy, niemand wird den Mist hier je zu Gesicht bekommen. Außer eben der Hintermann, in diesem Fall also wir. Na, danke.

Konzertnervbirnen Mitfilmer

In der modernen Philosophie gibt es den Begriff des „Interpassiven“. Der Speicher eines Rechners, der voll ist mit hunderten unbesehenen Fotos und Videos, genießt stellvertretend für den Erzeuger, der sich diesen unsortierten Kram selbst nie mehr ansieht. Doch man muss wahrlich kein Philosoph sein, um die Sinnlosigkeit des ungelenken Handyfilmens auf Konzerten zu begreifen.

Alle sollten damit schnellstens aufhören. Auch man selbst.
Denn Hand aufs Herz oft genug ist man heute doch selbst dieser Mitfilm-Depp…


Alle Folgen der Kolumne „Konzertnervbirnen“ findet ihr hier.