Musik
Interview
June Cocó im Interview: Zur Weltflucht ans Klavier
Es darf sich gerne noch ein wenig schneller herumsprechen, dass die Leipziger Sängerin und Pianistin June Cocó Konzerte spielt, wie man sie selten zu sehen und zu hören bekommt. Daniel Koch war bei ihrer Show im Berliner Privatclub und sprach schon ein paar Wochen zuvor über ihr neues Album „Fantasies & Fine Lines“, mit dem sie im Frühjahr noch einmal auf Tour sein wird.
Es ist der letzte Abend im November. Der Tag war erstaunlich freundlich, ganz anders als die Wetter-App es angedroht hatte. Herbstliche Postkartenromantik, nachmittägliche Spaziergänge, und diese etwas zu frühe Jahresend-Melancholie, die einem nicht unangenehm in die Seele kriecht. Jetzt strömen die Leute so langsam in den Berliner Privatclub, weil die Musik von June Cocó an solchen Abenden besonders gut passt. Sie bestellen sich einen Wein oder ein Bier und nehmen etwas überrascht Platz. June hat den Club nämlich bestuhlen lassen. Etwas improvisiert, aber festlich. Man sitzt zwar auf Bierbänken, aber das gemütliche, schummerigen Lichtkonzept gaukelt einem irgendwie vor, man säße mindestens auf Ledersofas.
Dann beginnt die Show, so wie auch ihr Album beginnt: Mit Vogelzwitschern. Das nennt nur kitschig, wer „Paradise“ noch nicht gehört hat. „Die Vögel auf ‚Paradise‘ sind schon echt“, erklärt June. „Mir kam die Idee zu dem Song und die Melodie tatsächlich in den Sinn als ich im Park auf einer Wiese lag und genau das spürte, was ich da singe. An einem Tag, an dem ich so was wirklich brauchte. Ich hatte kurz zuvor die Dokumentation ‚How Plants Communicate‘ gesehen, auch das floss dort ein.“
Die intime, vertrauensvolle Stimmung von „Paradise“ rührt daher, dass sie das Lied mit Andi Fins produziert hat, einem Wegbegleiter, dessen Upright Piano für June „eines der schönsten Instrumente ist, auf dem ich je spielen durfte.“ Es ist die perfekte Weltflucht-Hymne, wie ein Nachmittag im Grünen mit Kate Bush und Sufjan Stevens. „You and I in paradise, wake up in a perfect dream“, singt June gleich am Anfang. Auch das nennt nur kitschig, wer es noch nicht gehört hat. June kann das unheimlich gut: In klaren Worten allgemeine Sehnsüchte formulieren, die man zwar auch auf Atmo-Postkarten oder unter shiny Insta-Posts #liveyourdream schreiben könnte, die bei ihr aber wie die optimistischen, klaren Sehnsüchte klingen, die sie sind.
„Schuld“ an dieser Wirkung ist eine Kombination aus entrücktem Charisma, einer geschulten aber warmen Gesangsstimme und einer Performance, die klanglich zwölfmal so viel aus dem Wort „Soloshow“ herausholt, wie es andere mit Gitarre und Stimme sonst tun. June loopt ihre eigene Stimme zu himmelhochjauchzenden Chören, mixt immer wieder Samples dazu, motiviert das Publikum bei einer akustischen, unverstärkten Nummer, den Hook der Refrain im Chor zu singen, spielt zwischendurch rein und schön auf ihrem alten Klavier und lässt darauf diese anschwellenden, technisch produzierten aber durch und durch organischen Eine-Frau-mit-vielen-Stimmen-Chöre folgen. Wie sie das alles gleichzeitig auf die Kette bekommt – und sogar noch Luft und Lust hat dazwischen auf charmante Weise dem Publikum von ihrem Album zu erzählen? Man weiß es nicht.
Was man hingegen weiß: „Fantasies & Fine Lines“ ist ein besonderes Album. Eines, das ihr am Herzen liegt. Eines, das sie selbst als Neuanfang verstanden wissen will. Denn June ist keine Unbekannte: 2015 erschien auf einem kleinen Label ihr Debüt „The Road“, das noch auf einen Bandsound setzt, auf Jazz- und Rockeinflüsse, auf Morricone-Vibes und Beat-Generation-Nostalgie. Auch schon gut, aber anders. Von Leipzig aus, wo sie jahrelang in der Bar des besten Hotels der Stadt sang und Klavier spielte, erarbeitete sie sich mit ihren eigenen Konzertshows über die Jahre ein begeistertes Publikum.
Während dieser Zeit fiel ihr auch auf, dass sie jene Konzerte am meisten genoss, die sie alleine am Klavier bestritt. Fast ein wenig ergriffen, sagt sie: „Das klingt groß, aber ich würde wirklich sagen, dass das Klavier die Liebe meines Lebens ist. Seit ich als Kind bei einer Freundin hörte, wie jemand darauf ‚Für Elise‘ spielt, wollte ich das auch können und habe dann schon früh Unterricht genommen. Ich habe in letzter Zeit viele Solokonzerte nur mit Klavier spielt und habe dadurch gemerkt, wie wichtig es mir ist.“
Das hört man nun auch auf „Fantasies & Fine Lines“ – wenn man von Ausnahmen wie „Hope“ absieht, das sie komplett aus ihrem Gesang und diversen Samples „zusammengebaut“ hat. Das Klavier ist ansonsten fast immer da, in „Letter“ als treibende, stoische Kraft, in ihrem kleinen Hit „Neptune’s Daughter“ als wogendes Klangbad, in „Heroine“ als Zentrum von allem – ein Song übrigens, der aus einer Session mit Strokes- und Regina-Spektor-Produzent Gordon Raphael stammt.
Andere Lieder sind zum Beispiel mit Fabian Kuss von Yeah But No entstanden, der auch mitsingt in „Circles“. June, die das Album nun auch auf einem eigenen Label mit Freunden herausbringt, sagt: „Ich weiß auch nicht, wie das kam. Ich habe irgendwann entschieden, mich nur noch mit Menschen zu umgeben, denen ich vertraue und die meine Liebe zur Musik teilen. Und ich lerne irgendwie immer wieder solche Menschen kennen und will dann mit ihnen arbeiten. Diese sehr schöne Erfahrung hat meine Songs geprägt und vielleicht auch die Stimmung gesetzt.“
Zurück im Privatclub frisst ihr das Publikum kurz vor Ende der Show aus der Hand. June Cocó weiß eben, wie man die Leute für sich gewinnt – immerhin musste sie das jahrelang unter erschwerten Bedingungen in einer schnieken Hotelbar machen, wo die Musik für viele nicht so wichtig ist wie die Drinks. Und es gelang ihr oft. Von der Boulevard-Presse ist überliefert, dass Udo Lindenberg mal extra vorbeischaute, weil seine Band dort oft abhängt und von dieser Sängerin schwärmte. Da wollte er auch mal sehen, was es damit auf sich hat. Ein anderes Mal war George Clooney zu Gast und stellte erst sich und dann seine mitreisende Mutter persönlich vor.
Das Konzert im Privatclub am 30. November ist für June erstmal der vorläufige Tourabschluss. Ein kleiner Testlauf für die neuen Lieder, die nun endlich auf die Bühne dürfen. Ab Februar geht es dann wieder in die Clubs – vermutlich mit einem ähnlichen intimen Setting wie an diesem Abend. Eine Erfahrung, der man sich ausliefern sollte, wenn man mal genau das braucht, was June so gut konservieren kann: Die kleine Weltflucht nach einem langen Tag.
June Cocó – Lovers & Dreamers Tour 2020
- 25.02.2020 | Zwickau – Il Tavolino
- 27.02.2020 | Magdeburg – Moritzhof
- 28.02.2020 | Rostock – Helgas Stadtpalast
- 03.03.2020 | Stuttgart – clubCANN Backstage
- 04.03.2020 | Tübingen – Sudhaus
- 05.03.2020 | Düsseldorf – Hotel Friends
- 06.03.2020 | Heidelberg- Karlstorbahnhof
- 09.03.2020 | Berlin – House of Music
- 10.03.2020 | Leipzig – die naTo
- 26.10.2020 | Dresden – Societaetstheater
- 27.10.2020 | Halle – Objekt 5
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