Musik
Konzertnervbirnen #3: Der Lückenbrüller
Wir lieben natürlich Konzerte und verbringen unsere Abende am liebsten in der Gesellschaft Gleichgesinnter vor einer Bühne. Aber wir wollen euch in unserem Heft auch nicht nur in Euphorie und Watte kuscheln. Deshalb gehen wir mit dieser Kolumne dahin wo es wehtut – und stellen uns direkt neben die schlimmen Menschen, die einem auch das beste Konzert versauen können. In der dritten Folge nimmt sich Daniel Koch den Lückenbrüller vor. Illustration: Alexandra Ruppert.
Der gesteigerte Mitteilungsdrang in seinen extremeren Formen ist ja seit jeher weit verbreitet und ungefähr das Geschäftsmodell von Facebook, Twitter und dem Forum von Spiegel Online. In Verbindung mit Alkohol (oder anderem) und einem ebenso stark ausgeprägten Inszenierungsdrang, ergibt das eine Sorte Mensch, die auch und vor allem auf Konzerten ein echter pain in the ass sein kann. Ich rede hier allerdings nicht von Stadienkonzerten oder Festivalgigs, wo jeder zwischen den Songs brüllen kann, wie er will, weil es ja eh alle tun. Nein, ich meine die Lückenbrüller, die vor allem kleinfeine Clubkonzerte heimsuchen und mir schon so manchen Abend versaut haben.
Das begann schon in meinen frühsten Konzertjahren: 1997 sah ich als gerade 18-jähriger Moby, der in einem kleinen Club in Herford seine Punk-Platte „Animal Rights“ vorstellte. Eine bizarre, tolle Show, bei der Moby erst einmal all jene vergraulte, die ein Techno-Konzert erwartet hatten. Ich blieb natürlich, ergriffen von der Energie und der Aggression und dem Gefühl etwas zu sehen, das es so nie wieder gibt. Aber dann: Nach jedem Song ertönte ein lautes, besoffenes, in meiner Erinnerung diabolisch krächzendes, verschlürtes Männerbrüllen, das sich irgendeine Cover-Version wünschte. Wieder und wieder riss es mich aus meiner Trance und selbst wenn ich mich jetzt, über 20 Jahre später, zurückerinnere, übertönt es manchmal eine wundervolle Erinnerung.
Noch schlimmer ist so was bei intimen Abenden mit Songwriterinnen oder Songwritern oder Bands, die eher leisetreten. Ich habe nichts gegen Gespräche mit dem Publikum, aber für mich gehört es sich, dass diese vom Spielenden ausgehen und nicht umgekehrt. Und trotzdem inszenieren sie sich gerade dort am liebsten: die Lückenbrüller, die vom ganzen Club gehört werden wollen. Wie oft hätte ich am liebsten Becher geworfen! Auf den Typen, der Cat Power seine Liebe gestehen wollte – auf eine Art, die man ruhig übergriffig nennen darf. Auf die überstylten Hipsterdeppen, die bei The XX im Berliner Lido jeden Song zerlaberten, um dann in den Lücken zwischen den Liedern ihre Pseudo-Ekstase in den Raum zu rufen, als wären sie die Superfans. Auf die Leute, die selbst bei einem Akustikkonzert die Abendvollsten sein müssen und beim Lückenbrüllen auch noch witzig sein wollen. Und fangen wir gar nicht an, von den Vollidioten auf dem Highfield Festival, die beim Interpol-Konzert kurz vor der Zugabe nach dem Song „Smokers Outside The Hospital Doors“ riefen – leider nicht ironisch, sondern aus tiefstem, ignorantem Nichtwissen um die Tatsache, dass dies ein Song der Editors ist.
Trotzdem etwas Versöhnliches am Ende dieses Rants: Jahre später erfuhr ich, dass ein Kollege von mir aus dem Intro-Verlag an dem Abend auch bei der Moby-Show war – und dessen Kumpel besagter Lückenbrüller. Noch ein paar Jahre später stellte er uns beide schließlich auf einem Cure-Konzert vor. Tja, und was soll ich sagen: Netter Typ, guter Musikgeschmack, leichte Tendenz zum Euphorietrinken. Und da kann man, das weiß ich selsbt, schon mal Überreißen. Also: Vielleicht doch kein Bierbecherwurf, sondern der innige Wunsch an alle Lückenbrüller, sich diese Worte merken: Wenn’s nicht passt, einfach mal die Fresse halten!
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