New Music
Applause Newcomer Check: Eurosonic Festival 2020
Jedes Jahr treffen im niederländischen Groningen die spannendsten Newcomer der Welt beim Eurosonic Festival aufeinander. Daniel Koch hat sich für das Applause Magazin umgesehen und drei vielversprechende neue Künstlerinnen entdeckt.
Mitte Januar verbringt man als noch immer nicht satter Musikjournalist auf der Suche nach neuer Musik am besten in Groningen. Die holländische Studentenstadt ist nicht nur ziemlich schön geraten, sie ist zudem mit Dutzenden Live-Locations gesegnet, die während des Eurosonic Festivals täglich bespielt werden.
Auf der Bühne stehen dabei ausschließlich jene Künstlerinnen und Künstler, für die wir diese Seiten machen: Newcomer auf dem Sprung – auf die großen Festivalbühnen, in die Charts, oder auch mal in den Abgrund. Daniel Koch war für das Applause Magazin in Groningen unterwegs und hat sich die drei Acts zum Interview geschnappt, die ihm in diesen vollgepackten Tagen am besten gefallen haben.
Blanche: Noch einmal mit Gefühl
Es ist Mittwochabend. Vor dem ehrwürdig erleuchteten Stadttheater warten die ersten Fans der belgischen Sängerin darauf, dass endlich der Einlass beginnt. Blanche spielt sozusagen zur Tagesschau-Zeit, trotzdem sind die Reihen gut gefüllt.
Kein Wunder, denn Blanche hatte vor Jahren bereits einen Hit, der Millionen erreicht hat. Sie spielte die dunkel gesungene Nachthymne „City Lights“ nämlich beim Eurovision Song Contest in Kiew im Jahr 2017 – und gewann den vierten Platz. Ihre Performance war dabei für ESC-Verhältnisse eher zurückgenommen. Schwarzes Kleid, Standmikro, gute Ligthshow – aber eben: klasse Song und eine damals 17jährige, die mit der tiefen Stimme einer alten Seele singt.
Danach ließ sie sich die Zeit, die sie brauchte, verarbeitete den Sinnes-Overkill dieser Veranstaltung in aller Ruhe, veröffentlichte nur Hin und wieder ein Single – und ist jetzt soweit, die Karriere in ihrem Tempo anzugehen. Noch einmal mit Gefühl also. Auf etwas kleineren Bühnen.
Ihre Show auf dem Eurosonic kommt gut an, auch wenn man anfangs noch merkt, wie aufgeregt Blanche ist. Aber ihre konzentrierte Art und ihre Ausnahmestimme passen auch ganz gut zu dieser Musik, die zwar Pop sein will, aber ein dunkles Flirren in sich trägt.
Wir treffen sie am nächsten Morgen im Pressezentrum des Festivals – eine ausgebaute Kirche im Stadtzentrum. „Ja, ich habe meine Karriere eher von der anderen Richtung aus begonnen“, lacht sie. „Das hilft manchmal, weil man jetzt schon meinen Namen kennt. Aber viele verbinden ihn mit dem ESC und ich muss eben erklären, dass ich mich weiter entwickelt habe und es fast sogar ein neues Projekt ist.“
Ihr Album soll noch in diesem Jahr kommen, erzählt sie. „Erste Jahreshälfte, versprochen!“ Könnte gut werden, denn die paar Songs, die in den letzten zwei Jahren kamen, können was. „Wrong Turn“ zum Beispiel – ein Lied, in dem es darum geht, auch Fehler machen zu dürfen, was sie jetzt auch mal machen wolle, sagt Blanche: „Ich kam an einen Punkt, an dem ich dachte: Was zum Henker mache ich hier eigentlich? Alles fühlte sich falsch an, zu groß, seltsam. Ich war so jung, als es los ging – und musste mir mit diesem Lied noch mal klarmachen, dass ich auch mal was verbocken kann, oder total die Richtung wechseln kann. Wenn ich es denn will.“
Sirens Of Lesbos: Ideen und Launen
Eine Band aus der Schweiz, die es seit fünf Jahren gibt, hier am Festivalfreitag erst ihr drittes Konzert spielt, sich nach Figuren der griechischen Mythologie benennt und sich gegründet hat, um aus Spaß einen Ibiza-Hit zu schreiben, der tatsächlich einer wurde – das klingt eigentlich zu ausgedacht, als dass es wahr sein könnte. Stimmt aber alles.
Die Schwestern Jasmina und Nabyla Serag sowie Melvyn Buss und Arci Friede haben uns – oder vielmehr den Clubgängern auf der sonnigen Insel – „Long Days, Hot Nights“ beschert, eine Ibiza-Nummer, die im Claptone-Remix noch immer durch die Großraum-Dissen dieser Welt schallert. Das ist ihnen manchmal ein wenig peinlich, aber eigentlich stehen sie alle dazu.
Nabyla meint: „Auch wenn das jetzt böse klingt – zum Arbeiten ist es irgendwie egal. Klar, man muss darüber nachdenken, ob das noch das Bild ist, das wir abgeben wollen, aber mich stresst das jetzt nicht so groß. Eigentlich finde ich die Geschichte voll spannend, dass wir mit einem Ibiza-Hit die Karriere angefangen haben und jetzt Jahre später an einem Punkt sind, wo wir uns gefunden haben und was Neues passiert.“ Jasmina ergänzt: „Ich finde es vor allem super, weil dieses Ibiza-Feeling zu keinem von uns passt. Es macht gar keinen Sinn, dass wir das gemacht haben. Das ist doch toll.“
Der Auftritt später, ihr dritter wie gesagt, zeigt dann tatsächlich, dass sie mit Ibiza wenig am Hut haben. Soulige Passagen, leichter Reggae-Einschlag, viel gute Laune auf der Bühne, mal fast hippieske Folk-Vibes. Da ist alles drin. „Fairground“ und „Waltz“, die beiden frischsten Stücke sind vielleicht nicht Lichtjahre aber doch einige Flugmeilen entfernt von Ibiza.
Und wie geht es jetzt weiter mit der Karriere? Arci meint: „Wir wollen ein wenig professioneller vorgehen. Von außen wurde der Wunsch an uns herangetragen, etwas beständiger und regelmäßiger präsent zu sein – es läuft ja eigentlich sehr gut gerade, es wäre blöd das einschlafen zu lassen. Inhaltlich sind wir aber immer noch mega offen und unsere Arbeit hat viel mit Ideen und Launen zu tun, die diese vier gemeinsam haben und dann miteinander verhandeln.“
Klingt nach einem gesunden Ansatz – und wenn dabei weiterhin Songs rauskommen wie „We’ll Be Fine“, lassen wir uns das gerne gefallen.
Black Sea Dahu: „Unerwartet schön“
Bevor die Überschrift für Verwirrung sorgt: Wir sind schon davon ausgegangen, dass die Show der Schweizer Band Black Sea Dahu um Songwriterin Janine Cathrein durchaus schön wird. Sie selbst war sich nur nicht ganz sicher.
Als wir sie nach der Show im wohl futuristischsten Gebäude Groningens – dem neu erbauten Forum – im Backstage auf ein kurzes Gespräch treffen, sagt sie über das Konzert: „Das war unerwartet schön. Ich hätte gedacht, dass es mehr Geläuf, wie wir auf Schweizerdeutsch sagen, gibt – das also die Leute rein und raus wandern und viel geredet wird, weil das auf diesem Festival oft so ist. Aber es war völlig das Gegenteil. Das war ein sehr aufmerksames Publikum – sehr warm und lustig, sie haben mit uns geredet und Witze gemacht.“
Das können wir so bestätigen, immerhin standen wir gebannt in Reihe drei. Der leise Folk von Black Sea Dahu entwickelt vor allem live einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Was zum einen an der sehr harmonischen Band liegt, in der auch Janines Schwester und ihr Bruder spielen, zum anderen an Janines Stimme, die nach Leben, Weisheit, Sinnsuche klingt – es liegt auch an ihren präzise getexteten Liedern.
„How You Swallowed Your Anger“ ist so eines, oder „In Case I Fall For You“, oder das fantastische „White Creatures“, bei dem man spätestens dann mit Gänsehaut am ganzen Körper an ihren Lippen hängt, wenn sie so weise und lässig singt: „White creatures looking after me / Oh-ooh I lost faith in the human I wanted to be.“
Wenn man ihr das sagt, ist Janine fast ein wenig peinlich berührt. Ein sympathisches Understatement, mit dem sie erzählt: „Meine Liebe zum Wort kommt daher, dass ich sehr früh angefangen habe zu lesen und ein paar Jahre fast nichts anderes in meiner Freizeit machte. Und dann habe ich mit zehn mein eigenes Gedichtbuch geschrieben und in der Familie verteilt. Wer Geburtstag hatte, bekam damals eine Geschichte von mir. Vielleicht schwingt das aber auch in meinen Genen mit: Mein Ur-Ur-Ur-Großonkel ist Frank Wedekind, der Dichter und Theaterschreiber. Ich war jedenfalls immer schon fasziniert davon, wenn jemand in einem kurzen Satz ausdrücken kann, was in mir vorgeht als Leserin. Das wollte ich immer können.“
Inzwischen kann sie das wirklich sehr gut – und am besten eben in Liedform. Das merkt man auch daran, dass ihre Schwester am Merch-Stand regelrecht belagert wird. Eine Handvoll sehr emotionalisierter Menschen will noch unbedingt ein Autogramm von Janine. Während sie darauf warten, erzählen sie sich mit leuchtenden Augen von ihren Momenten mit Black Sea Dahu, für die sie extra angereist sind.
Und auch wir können uns dagegen nicht wehren: Es ist der letzte Festivalabend, als wir sie spielen sehen, eigentlich sind wir gestresst und leergeredet – und dann kommt diese Show und zeigt einem wieder, warum man sich so gerne vor diesen Bühnen herumtreibt: Damit einem immer wieder solche Momente passieren.
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