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Der Postillon vor Jubiläumstour 2020 im Interview
Ab März geht die Bühnenshow der Satire-, pardon Nachrichten-Website "Der Postillon" auf große Jubiläumstour. Vorher haben wir mit dem Kreativ- und Regie-Duo Peer Gahmert und Volker von Liliencron über die Satire-Live-Show gesprochen.
Die von Stefan Sichermann vor zehn Jahren ins Leben gerufene Website „Der Postillon“ spielt reichweitentechnisch inzwischen in der Liga großer Nachrichtenportale – und schafft es immer noch zu unterhalten und zu verwirren. Die von Anne Rothäuser und Thieß Neubert moderierte Show schafft es dabei tatsächlich, die gute Mischung aus Realsatire und bösen Pointen adäquat auf die Bühne zu bringen. Wir haben mit dem Kreativ- und Regie-Duo Peer Gahmert und Volker von Liliencron gesprochen, die hinter der Produktion stecken und unter der Knute ihres Chefs zwischen Weltherrschaftsstreben, Wutbürgertum und Bildungsauftrag gefangen sind.
Bevor wir richtig loslegen. Wir würdet ihr jeweils euren Aufgabenbereich bei dem Projekt beschreiben?
Volker: Wir beide haben eine große Schnittmenge in unseren Aufgaben. Ich produziere sozusagen die ganze Geschichte hier und sorge dafür, dass sie auf die Bühnen des Landes kommt, mit allem Papierkram, den das mit sich bringt. Dann komme ich schon zur besagten Überschneidung mit Peers Aufgaben, der – oh, jetzt sprech ich für dich …
Peer: Mach mal, ich werde schon reingrätschen, wenn du Schwachsinn erzählst.
Volker: Peer, der ja auch Teil der Postillon-Redaktion ist, bereitet die schon vorhandenen Texte zunächst bühnentauglich auf. Dann gehen wir beide gemeinsam ran und schauen, wo man eine Pointe auf der Bühne noch einmal anders herausstellen kann. Wir haben zwei Moderatoren und eine Leinwand zur Verfügung, da kann und muss man satirisch natürlich anders arbeiten als auf einer Homepage. Peer ist dabei der Mann fürs Textliche, ich der für die Multimedia-Beiträge. Die eigentliche Regie und die Absprachen mit dem Moderationsteam, also mit Anne Rothäuser und Thieß Neubert, machen wir gemeinsam.
In der Ankündigung zur neuen Tour wird der Postillion-Gründer Stefan Sichermann aus einer geleakten Mail an euch zitiert: „Ich erwarte nichts weniger als die Neukreation eines Genres. […] Das muss krachen! […] Also strengt euch gefälligst an, ihr […]!“ Ich frage jetzt lieber nicht nach den Auslassungen, aber was für Änderungen könnt ihr anteasen für die Neuauflage der Show?
Peer: Die Ansage vom Chef ist ja mehr als deutlich. Es muss besser werden. Neu. Es muss knallen. Oder krachen, wie er schreibt. Daran halten wir uns.
Und da seid ihr auf einem guten Weg?
Volker: Unbedingt! Wir würden zwar gerne noch Musical-Elemente reinbringen, aber irgendwann werden wir auch ausgebremst in unseren Ambitionen.
Als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal davon las, dass Der Postillon auf Tour geht, dachte ich ehrlich gesagt: „Die spinnen doch! Das klappt doch nie!“ Beziehungsweise, dachte ich, die Tourankündigung sei eine Postillon-News. Die Videos, die ich dann von der Show gesehen habe, zeigen aber das Gegenteil. Wie kam es zu der etwas spinnert anmutenden Idee, aus einer Satire-News-Website einen funktionierenden Live-Abend zu machen?
Volker: Wir fanden das eigentlich total logisch.
Peer: Genau. Der Postillon hat zwar sehr viele Leserinnen und Leser und treue Fans, aber das Problem ist: Die lesen das zuhause auf dem Smartphone oder Tablet. Wir bieten ihnen mit dieser Show eine schöne Gelegenheit mal das Haus zu verlassen, andere Menschen zu sehen, gemeinsam zusammen zu sitzen und vielleicht noch ein Bier zu trinken. Der Hintergrund ist ja, dass in Deutschland ganz viele Ecken noch kein Internet haben. Dementsprechend müssen wir auch diese Menschen mit Nachrichten versorgen, weil man täglich mitkriegt, dass viele gar nicht wissen, was da draußen passiert – und das ist unser Bildungsauftrag. Auch in den Osten zu gehen, nach Süddeutschland …
Volker: … teilweise sogar in den Westen …
Peer: … und im Norden haben wir sogar angefangen. Da und überall sind immer noch viele überrascht, was in der Welt so alles passiert.
Das ehrt euch sehr, dass ihr das auf euch genommen habt.
Peer: Kein Thema.
Wie darf man sich eigentlich einen Redaktionsalltag beim Postillon vorstellen?
Peer: Wir sind ein Nachrichtenmagazin. Wir haben natürlich einen ganz klassischen Redaktionsalltag. Wir haben tägliche Konferenzen, wir reden miteinander, wir gucken, was passiert ist auf der Welt. Dann fragen wir uns, was uns interessiert – und das hat dann eben auch die Leserschaft zu interessieren. Ich darf jetzt nicht ins Detail gehen, was Alkohol und Drogen angeht, aber ich kann sagen, dass ein Teil von uns durchaus nikotin- und koffeinsüchtig ist und das bei der täglichen Arbeit auch eine große Rolle spielt.
Das hatte ich schon an den Pointen diagnostiziert, aber schön, das jetzt mal auf Band zu haben. Zurück zur Show: Ihr arbeitet wieder mit Anne Rothäuser und Thieß Neubert, beide aus den TV- und Radio-Ablegern des Postillon bekannt. Wie hart war der Castingprozess und warum habt ihr euch damals für die beiden entschieden?
Volker: Es waren die billigsten, die wir gekriegt haben.
Peer: Es waren auch die ersten, die sich gemeldet haben. Der Casting-Prozess war in der Tat schnell beendet. Wir haben sie gefragt.
Volker: Thieß war ja zuerst an Bord damals und die Arbeit mit ihm brachte uns überhaupt erst auf die Idee, den Postillon nicht nur ins Radio und ins Fernsehen, sondern auch auf die Bühne zu bringen. Wir hatten also keine andere Wahl außer die beiden.
Peer: Es ist aber auch eine sehr gute Wahl.
Volker: Ja, im Ernst: Die beiden sind ein Glücksgriff, denn sie sind sehr, sehr gut. Sie machen sehr viel Freude – und genau das, was wir ihnen sagen.
Ich stehe auf Kuchendiagramme. Wie würde der Themenkuchen der kommenden Jubiläumsshows aussehen?
Volker: 30 Prozent Schwarzwälder Kirschtorte …
Peer: … genau, also was Klassisches, was Leckeres, was jeder mag.
Volker: 20 Prozent Donauwelle … mit Bitterschokolade.
Peer: Das ist dann mehr so für die Nische.
Volker: Die noch offenen 50 Prozent des Kuchens ist der klassische Apfelstrudel, der schnell runterflutscht …
Peer: … mit Vanillesauce.
Volker: Ab und zu machen wir natürlich auch Butterkuchen.
Damit man auch wirklich satt rauskommt.
Peer: Genau. Wir nehmen dabei aber wirklich nur vor Ort Produziertes, vom Bäcker nebenan.
Volker: Die Bühnenshow wird aber auch viel Broccoli und Banane sein, ein wenig Salz, was man so braucht für einen geselligen Abend mit fremden Menschen.
Für mich ist euer Programm – sei es jetzt Website oder TV-Show oder Live-Show – auch und vor allem außergewöhnlich, weil es einerseits die breite Masse erreicht, andererseits bei all der Satire aber auch hin und wieder politisch ist und meiner Meinung nach durchaus Haltung zeigt. Sie pisst für meinen Geschmack den richtigen Leuten ans Bein. Wie wichtig ist euch dieses Element?
Peer: Ich will es mal so ausdrücken: Wir sind ja jeden Tag mit Dingen konfrontiert, die uns manchmal mehr aufregen als andere Dinge. Wenn irgendwo – ich sage jetzt einfach mal – im Osten der Republik ein paar Nazis aufmarschieren, dann ist das für uns wichtiger, als zum Beispiel einen Artikel über die Autoindustrie zu bringen. Uns ist wichtig, dass solche Dinge bekannt werden und ich glaube, wir haben da einen gewissen Resonanzboden, den wir ganz gut zu nutzen wissen.
Volker: Ich würde sagen, dass da teilweise gar nicht um eine Haltung gehen muss, sondern um gesunden Menschenverstand. Als Kevin Kühnert zum Beispiel mal ein paar Forderungen aufgestellt hat und die Alten in der SPD und alle anderen in Schnappatmung versetzt hat, kam bei uns die Headline: „Juso-Chef in der Kritik, weil er linke Ideen hat.“ Ganz ehrlich, da muss man gar nicht unbedingt mit seiner Haltung rangehen: Das ist Realsatire, die für ihre eigenen Pointe sorgt.
Durch das Programm bei „Der Postillon – Live“ führen Anne Rothäuser und Thieß Neubert, die Originalsprecher der Postillon-Video- und Radionachrichten.
Führen politische Beiträge bei der Live-Show eigentlich auch zu schwierigen Momenten? Sitzen die Wutbürger, der Alu-Hut-Träger oder der grau schäumende Altnazi hin und wieder in der Show und pöbeln?
Peer: Nicht jeder äußert sich. Und nicht jeder gibt sich zu erkennen, als einer gewissen Partei oder einer gewissen Weltanschauung zugehörig. Schlimm wurde es aber glaube ich noch nie.
Volker: Leider wurde es noch nie schlimm, muss man ja fast sagen. Das ist auch das Phänomen des Internets: Wenn man halbwegs anonym posten kann, hat plötzlich jeder eine Meinung. Wir würden das überhaupt nicht verbieten, im Gegenteil, es ist sogar herzlich gewünscht. Genauso wie man sich über Lacher und Applaus freut, hat das Publikum alles Recht zu buhen oder kundzutun, wenn ihm etwas nicht schmeckt. Letztendlich kann man aber schon sagen: Bei uns sitzen meistens Fans, und es werden jetzt sicher keine Nazis oder AfD-Anhänger – das ist das Gleiche, tschuldigung – in die Show kommen.
Was wir aber merken: Es sind ja durchaus nicht nur ganz klar polarisierende politische Links-Rechts-Themen bei uns. Wir sprechen Sachen an, die jeden betreffen. Mein Lieblingsbeitrag auf der letzten Tour war die News über den jungen Rifat aus Bangladesch, der von seinen Altersgenossen gemobbt wird, weil er keine Markenklamotten herstellt in seinen 14-Stunden-Schichten. Das trifft fast jeden, denn egal ob wir Adidas oder Nike-Klamotten oder bei Kik kaufen – das wird alles unter katastrophalen Bedingungen hergestellt. Da sprachen uns einige an, die das nicht so doll fanden. Und wir dachten uns: „Tja, warum wohl. Weil es eben dich betrifft und wir nicht nur AfD-Bashing betreiben. Weil du dir an die eigene Nase fassen musst, was dir nicht passt, weil du dich für einen Gutbürger hältst.“
Peer: Wir hindern niemand aktiv daran, die Show zu besuchen.
Alu-Hüte dürfen mitgebracht und getragen werden?
Volker: Alu-Hüte ja, Hakenkreuze und so was nicht. Da muss sich natürlich jeder im Rahmen des Grundgesetzes bewegen.
Von eurem Gründer ist das Zitat überliefert: „Ich bin ein Korinthenkacker-Typ, ein Zahlenmensch.“ Wenn das nicht so wäre und ihre alles Budget der Welt hättet, wie sähe die Bühnenshow dann aus?
Peer: Volker hat das ja vorhin schon gesagt. Wir arbeiten streng auf eine Musical-Umsetzung zu.
Volker: Ich bin für das Budget zuständig, das ist Stefhan also herzlich egal, wie viel wir da ausgeben. Wir wollen am Ende des Tages – aber da werden wir uns über ein paar Touren über hinarbeiten – die große Las Vegas Show stehen mit zwanzig Tänzern und Tänzerinnen auf der Bühne, Pyrotechnik und schwebenden Moderatoren.
Letzte Frage: Wo wird der Postillon in 10 Jahren stehen und wie sieht es dann in Deutschland aus?
Volker: Das sind zwei Fragen, aber die bedingen sich ja ganz klar. Deutschland wird es nicht mehr geben und der Postillon wird die Weltherrschaft erlangt haben.
Peer: Das ist das erklärte Ziel unseres Herausgebers und Chefredakteurs. Deshalb müssen wir das hier sagen. Private Meinungen tun da nichts zur Sache.
Das sind doch mal klare Ansagen. In diesem Sinne, wie es bei den Nachrichtenkollegen vom Spiegel immer so schön heißt: Wir danken Ihnen, äh, euch für das Gespräch.
Der Postillon Live – Jubiläumstour 2020
- 03.03.2020 | Krefeld – Kulturfabrik Krefeld e.V.
- 04.03.2020 | Bochum – RuhrKongress
- 05.03.2020 | Osnabrück – Rosenhof
- 10.03.2020 | Ulm – ROXY
- 28.03.2020 | Mainz – Frankfurter Hof
- 02.04.2020 | Chemnitz – Stadthalle
- 03.04.2020 | Erfurt – DASDIE Brettl
- 04.04.2020 | Berlin – Urania Humboldt-Saal
- 15.04.2020 | Lübeck – Kolosseum
- 16.04.2020 | Oldenburg – Kulturetage
- 17.04.2020 | Hannover – Pavillon
- 18.04.2020 | Münster – Aula am Aasee
- 28.04.2020 | Frankfurt am Main – Batschkapp
- 29.04.2020 | Mannheim – Capitol
- 30.04.2020 | Baden-Baden – Rantastic
Im Herbst wird die Tour mit weiteren Terminen fortgesetzt.
Tickets für die Postillon Live-Shows 2020 bekommt ihr hier bei Ticketmaster.