Musik
Konzertnervbirnen #5: Die Windmaschine
Wir lieben Konzerte und verbringen unsere Abende gerne in der Gesellschaft Gleichgesinnter vor einer Bühne. Aber wir wollen euch in unserem Heft nicht nur in Euphorie und Watte kuscheln. Deshalb stellen wir uns mit dieser Kolumne mal direkt neben die schlimmen Menschen, die einem auch das beste Konzert versauen können. In der fünften Folge nimmt sich Jochen Overbeck die Windmaschine vor – ihr wisst schon: dieser Typ, der ohne mit der Wimper zu zucken still und leise in der fünften Reihe einen fahren lässt, den man bis zur Theke hinten riechen kann. Illustration: Alexandra Ruppert.
Früher war nicht alles besser, aber eine Sache doch. Dass in Konzertsälen geraucht werden durfte, gab ihnen einen eigenen Geruchscharakter. Gemeinsam mit verschüttetem Bier und den verschiedensten Noten von Schweiß sorgte der Altrauch für eine Schicht, die oft über dem Konzert lag wie eine in die Jahre gekommene, aber herzensgute Daunendecke. Damals störte einen das nicht großartig, im Gegenteil: Wenn man am nächsten Morgen in die angemiefte Jeans kroch, erfreute man sich ein zweites Mal an den schönen Ereignissen des Vorabends.
Das ist, von einigen Kellerlöchern in Berlin abgesehen, Vergangenheit. Besagter Geruchscharakter fehlt, wie ein Vorhang wurde er weggezogen. Heute riecht man den Menschen an sich. Schweiß kommt noch vor, aber das ist eine andere Sache, die sicher bald ebenfalls gewürdigt wird. In diesen Zeilen geht es um etwas anderes: den Furz.
Der steht jetzt, wo selbst bei einem Sick-Of-It-All-Konzert die Luft so rein ist wie in einem Vorarlberger Bergdorf, häufig im Zentrum des Geschehens. Er kommt in verschiedensten Formen. Als Katastrophe, auf die man völlig unvorbereitet ist; während man mit geschlossenen Augen seinem Lieblingssong lauscht, steht plötzliche diese Wand aus Fäulnis vor der Nase. Oder, beinahe schlimmer, angekrochen; wie die Wanne mit Badewasser füllt sich der Raum langsam, aber unaufhaltsam mit Gestank.
„Wer war das“, fragt man da erzürnt. „Wer erlaubt sich, so einen, Pardon, Schoas, in die Welt zu senden, während wir doch eigentlich alle hier sind, um in den sinnlichen Twee-Tunes von Hopsie & The Flopsies zu versinken?“ Als Geschädigter tappt man leicht in eine Falle, die es zu vermeiden gilt: Man geht davon aus, man besitze so etwas wie eine olfaktorische Synästhesie. Könne quasi den Geruch des Windes der Optik einer Person zuordnen. Die junge Dame mit dem süßen Allah-Lahs-Shirt kann doch unmöglich die Urheberin dieses Höllendonners gewesen sein, denkt man sich dann und lenkt seinen Zorn auf den grobschlächtigen Zwei-Meter-Klotz daneben. Der schaut schon so flatulent! Und hat er nicht gerade den Po ein bisschen gedreht, ganz so, als wolle er die etwas an fermentierte Schweinebratensauce erinnernden Gase von sich wegwedeln?
Ein Irrtum. Wer da seinen Koffer mitten in der Szenerie deponiert hat, ist für gewöhnlich nicht auszumachen. Wenn der Täter / die Täterin geschickt ist, wechselt er / sie den Schauplatz. Geht vielleicht zwei Schritte zur Seite, sodass er neben seinem Pups steht und nicht mehr davor oder holt sich, das ist bisweilen als Treibstoff für die nächste Aussendung nötig, ein Bier. Manchmal dreht er sich auch um, lenkt seinen Blick in den Saal, in den Augen ein „Na hoppla, ich bin genauso angewidert wie ihr!“
Oft ist die innerliche Fahndung auch eher eine Ausstellung der eigenen Vorurteile, denn eigentlich verhält es sich doch so: Jeder hat das Potenzial, ein Stinker und zur Windmaschine zu werden. Und vielleicht sollte man, wenn die Gase die Nase erreichen, auch kurz innerlich einkehren. Manchmal fällt einem dann nämlich siedend heiß ein: „Oops, das war ja ich.“ Am besten mal zum Merchandise schlendern und erst zurückkehren, wenn die Luft wieder rein ist! Oder halt aufs Klo gehen.
Alle Folgen der Kolumne „Konzertnervbirnen“ findet ihr hier.