Kultur

Interview

90 Jahre Gasometer: Jeanette Schmitz im Interview

Vom Industriekoloss zu einer der beeindruckendsten Ausstellungshallen Europas: Der Gasometer in Oberhausen feiert 2019 seinen 90-jährigen Geburtstag. Geschäftsführerin Jeanette Schmitz blickt im Interview auf das Jubiläumsjahr, die Geschichte und Zukunft des Oberhausener Wahrzeichens.

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Der Gasometer in Oberhausen ist seit 25 Jahren als einzigartige Ausstellungshalle weit über die Grenzen des Rheinlandes bekannt. Das heutige Industriedenkmal ist Wahrzeichen und Kultur-Hotspot Oberhausens und blickt auf eine 90-jährige Geschichte im Zeichen des (industriellen) Strukturwandels zurück. Jeanette Schmitz leitet seit 1994 die Geschicke des Gasometers und konnte seitdem Millionen Besucher aus Nah und Fern mit imposanten Ausstellungen beeindrucken.

Der Gasometer gehört für viele Bewohner des Ruhrgebiets seit jeher dazu – er thront kilometerweit sichtbar über der Stadt Oberhausen – wie hat sich der Stellenwert des Industriedenkmals im Laufe der letzten 90 Jahre gewandelt?

Jeanette Schmitz: Der Gasometer wurde 1928/29 erbaut, um das Gichtgas aus den nahegelegenen Hochöfen zwischen zu speichern. Bei Bedarf wurden damit die umliegenden Industrieanlagen versorgt. Schon damals war der Oberhausener Gasometer der größte seiner Art in Europa. Seit 1994 finden nun in dem alten Gasspeicher große Wechselausstellungen statt, die weit über die Grenzen von Nordrhein-Westfalen hinaus Beachtung finden. Mit über 8 Mio Besuchern in den letzten 25 Jahren gehört der Gasometer zu den erfolgreichsten Ausstellungshäusern in der Bundesrepublik. Heute ist er das Wahrzeichen von Oberhausen.

Wie kam es zu der Idee, aus dem alten Gasometer mit viel Aufwand einen Ausstellungs- und Veranstaltungsort zu machen?

Jeanette Schmitz: Nach der Stilllegung des Gasometers in 1988 wurde in der Stadt Oberhausen über verschiedene Nutzungsmöglichkeiten des Gasometers nachgedacht und diskutiert. Die Internationale Bauausstellung Emscherpark (IBA 1989 – 1999) machte schließlich den Vorschlag, den Gasometer nach den Plänen des Berliner Architekten Jürg Steiner in eine Ausstellungshalle umzubauen. Diese Idee war völlig neu. Weltweit gab es kein Vorbild – ganz im Gegenteil: heute besuchen viele Architekten und andere Interessensgruppen den Gasometer, um sich anzusehen, wie der Oberhausener Scheibengasbehälter umgebaut wurde. Der Umbau kostete 15,98 Mio. DM.

Der Gasometer mit seinem 100-Meter-hohen Luftraum ist heute der perfekte Ort für Ausstellungen, die das Raumerlebnis unterstreichen. Es werden Inszenierungen gewählt, die an keinem anderen Ort möglich wären. Oder haben Sie schon einmal in einem anderen Raum eine 43m x 30m x 17m große Bergskulptur, wie in der aktuellen Ausstellung „Der Berg ruft“, kopfüber von der Decke hängen sehen?

Mit welchen anfänglichen Schwierigkeiten hatte der Gasometer zu kämpfen? Aus welchen Fehlern hat man lernen können?

Jeanette Schmitz: Der Gasometer hatte nie mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ganz im Gegenteil: der alte Gasspeicher steht als Symbol für einen gelungenen Strukturwandel im Ruhrgebiet. Die industrielle Vergangenheit des Ruhrgebietes ist im Gasometer noch ablesbar und dennoch gibt es eine interessante, zukunftsgerichtete Nutzung des Gebäudes. Inhaltlich mussten sich die Kuratoren an die Inszenierungen des Raumes über die Jahre langsam herantasten. Zum Beispiel wurde in den Anfangsjahren 1994/95 der Luftraum des Gasometers noch nicht so bespielt wie heute.

Gasometer Oberhausen 2019

Seit 90 Jahren eine Ikone des Ruhrgebiets: Der Gasometer in Oberhausen hat die Transformation vom Industriekoloss zum Kultur-Hotspot erfolgreich gemeistert. (Foto: Thomas Machoczek)

Rund 8 Millionen Besucher verzeichnet der Gasometer seit der Wiedereröffnung – was macht den besonderen Reiz dieses Industriedenkmals aus?

Jeanette Schmitz: Der Erfolg des Gasometers begründet sich in der Kombination eines außergewöhnlichen Raumerlebnisses, verbunden mit dem Besuch einer interessanten Ausstellung und dem Besuch der Aussichtsplattformen auf dem 117,5 Meter hohen Dach des Gasometers. Dort oben liegt den Besuchern das westliche Ruhrgebiet zu Füßen. Ein Besuch des Gasometers ist ein Erlebnis für die ganze Familie – denn für jeden ist etwas dabei.

Welches ist ihr persönliches Highlight aus der 25-jährigen Geschichte als Ausstellungsort?

Jeanette Schmitz: Eines meiner persönlichen Highlights in den letzten 25 Jahren ist sicherlich die Zusammenarbeit mit dem weltbekannten Künstler Christo. Sein Big Air Package in 2013, das den riesigen Innenraum des Gasometers in einen weißen, fast überirdischen Raum verwandelte, hat mich fasziniert. Besonders berührt hat mich die Erdkugelskulptur aus „Wunder der Natur“ in 2016/17. Erstmals hatten wir wie ein Astronaut die Gelegenheit einen Blick auf unseren wunderschönen Planeten zu werfen. Besonders schräg und ausgefallen ist für mich der Höhepunkt der aktuellen Ausstellung „Der Berg ruft“: Das Matterhorn – das umgekehrt von der Decke hängt. Übrigens sind gerade die erfolgreichen Ausstellungen der letzten Jahre von unserem langjährigen Kurator Peter Pachnicke entwickelt worden.

Christo Oberhausen

Gleich zwei Mal wählte der weltbekannte Künstler Christo das Gasometer für seine beeindruckende Installationen. (Foto: Wolfgang Volz)

Der Gasometer ist der erste Ort, den der Künstler Christo gleich zwei Mal für seine opulenten Installationen nutzte. Was schätzte Christo am Gasometer?

Jeanette Schmitz: Christo und seine Frau Jeanne-Claude präsentierten auf Einladung der Internationalen Bauausstellung Emscherpark 1999 The Wall im Gasometer. Schon damals waren sie von dem Raum begeistert. Jeanne-Claude bezeichnete den Gasometer immer als das größte Museum der Welt. 2013 dann, 4 Jahre nach dem Tod von Jeanne-Claude inszenierte Christo sein Big Air Package im Gasometer. Der Gasometer ist der einzige Ort, an dem Christo gleich zweimal eine Installation zeigte. Darauf sind wir sehr stolz – beweist es doch, wie sehr der weltbekannte Künstler den ehemaligen Gasspeicher schätzt.

Derzeit läuft die Ausstellung „Der Berg ruft“ im Gasometer. Herzstück der Ausstellung ist eine riesige Abbildung des Matterhorns – wie bringt man so eine gewaltige Stahlkonstruktion in das Gebäude?

Jeanette Schmitz: Mit 43 Metern Länge, 30 Metern Breite, 17 Metern Höhe und 7,5 Tonnen Gewicht war auch für uns die Realisierung des Matterhorns eine technische Herausforderung. Das Matterhorn wurde im Gasometer zusammengebaut und dann hochgezogen. Im Inneren des Matterhorns befindet sich eine Stahlstruktur, die die Form der Skulptur bildet. Die Struktur wurde mit einem für Projektionen geeigneten Polyestermaterial überzogen. Unterdruck- und Überdruckkammern im Inneren der Skulptur sind ebenfalls formgebend. Der Aufbau des Matterhorns dauerte 6 Wochen, die Planungen für diese Skulptur zwei Jahre. Nur den Firmen geo.Die Luftwerker, intermediate engineering, Seilpartner und natürlich unserem Partner, dem Earth Observation Center des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen ist es zu verdanken, dass wir pünktlich eröffnen konnten.

Die Ausstellung „Der Berg ruft“ wurde bis in den Herbst 2019 verlängert – wie erklären Sie sich den Besucheransturm?

Jeanette Schmitz: In unserer aktuellen Ausstellung „Der Berg ruft“ zeigen wir, was die Faszination der Bergwelt ausmacht. Es geht um die Dramatik der legendären Erstbesteigungen, um heilige Berge, um die Tiere, Pflanzen und Menschen, die in den hohen Gefilden leben. Es geht aber auch um den ewigen Kreislauf des Gesteins, die Entstehung der Berge und wie schließlich auch die höchsten Berge wieder zur Wüste werden. Diese Monumentalität und Schönheit der Natur erfahren die Besucher anhand von großformatigen Fotografien und ergreifenden Naturfilmszenen.

Matterhorn Gasometer

Herzstück der aktuellen Ausstellung „Der Berg ruft“: Eine riesige Konstruktion des Matterhorns, das sich von unten ausführlich betrachten lässt. (Foto: Thomas Machoczek)

In den letzten zwei Ausstellungen, die in Partnerschaft mit dem NABU entwickelt wurden, wird auch auf kritische Themen, wie Umweltzerstörung oder Artensterben Bezug genommen – Welches Fazit sollen Besucher der Berg-Ausstellung am Ende ziehen?

Jeanette Schmitz: In unseren Ausstellungen stellen wir die Schönheit der Erde und die Einzigartigkeit der Schöpfung dar. Wir hoffen, die Besucher mit unseren Fotos und den Filmszenen zu berühren. Bei vielen Besuchern gelingt uns das – wie wir in unseren Besucherbüchern lesen können. Die Botschaft heißt natürlich „Unser blauer Planet ist von einer einzigartigen Schönheit – schützt ihn.“

2020 soll der Gasometer aufwändig renoviert werden – Wie geht es danach weiter? Welche Neuerungen dürfen die Besucher erwarten?

Jeanette Schmitz: 2020 wird der Gasometer saniert. Bei den anstehenden Arbeiten handelt es sich in erster Linie um Korrosionsschutzarbeiten an der Außenhaut. Im Inneren des Gebäudes werden sich keine Neuerungen ergeben. Voraussichtlich werden die Sanierungsarbeiten ein Jahr dauern. In dem Sanierungsjahr bleibt der Gasometer geschlossen. Aber in 2021 werden wir mit einer neuen großen Ausstellung starten.

Vorher wird aber erstmal das Jubiläum gefeiert – Was ist zum Geburtstag geplant? Auf welche Highlights dürfen sich die Besucher freuen?

Jeanette Schmitz: Das Jubiläum möchten wir am 7. und 8. September 2019 mit unseren Besuchern feiern. An diesem Wochenende gibt es Musik, kostenlose Führungen durch die Ausstellung, ein kulinarisches Angebot, Präsentationsstände unserer Partner NABU und DAV und das alles zum halben Eintrittspreis.

Das offizielle Programm für das Jubiläumsjahr beginnt jedoch schon am 23. Mai 2019 mit einem Vortrag des Extrembergsteigers und Freeclimbers Stefan Glowacz. Er nimmt uns in seinem Vortrag mit auf eine Reise von der Arktis bis in den Orient.

Drei Wochen später, am 13. Juni 2019 wird uns Lars Abromeit auf den „Gipfel der Erkenntnis“ begleiten. Der GEO-Journalist und Expeditionsreporter begleitet seit 15 Jahren Forscher in Regenwälder und Wüsten. Dieses Mal geht es mit Intensivmedizinern ins Himalaya-Gebirge.

Wir freuen uns am 1. August 2019 auf Gerlinde Kaltenbrunner, die bereits im vergangenen Jahr vor ausverkauftem Haus über ihre Expeditionen in die hohen Gefilde berichtet hat. Gerlinde Kaltenbrunner ist die erste Bergsteigerin, der es gelungen ist, alle 8.000 er Berge ohne zusätzlichen Sauerstoff zu besteigen.

Am 21. August wird die Vulkanforscherin Ulla Lohmann, bekannt aus Funk und Fernsehen, in einer Multivisionsshow von ihren spannenden Erlebnissen bei der Erforschung von Vulkanen berichten.

Den Abschluss des Programms im Jubiläumjahr macht der weltbekannte Bergsteiger Reinhold Messner. Am 18. September 2019 erzählt er seine Lebensgeschichte. Leider ist diese Veranstaltung schon ausverkauft.

Alle Veranstaltungen beginnen jeweils um 19.30 Uhr. Das Ticket – erhältlich bei Ticketmaster – gilt den ganz Tag und eröffnet somit die Gelegenheit, sich in aller Ruhe tagsüber die Ausstellung anzusehen und abends den Vortrag zu hören. Wer tagsüber keine Zeit hat, kommt dennoch in den Genuss sich die Ausstellung anzusehen, denn der Gasometer öffnet an den Veranstaltungstagen bis 23.00 Uhr. Unvergesslich ist der Blick vom Dach zu später Stunde auf das beleuchtete Ruhrgebiet.

Außerdem haben wir zum Jubiläum gerade ein Buch im Klartextverlag veröffentlicht, mit vielen Fotos aus den vergangenen Ausstellungen und vielen historischen Fotos, die die Geschichte des Gasometers vom Gasspeicher zur Ausstellungshalle dokumentieren. Für alle, die den Gasometer und seine Ausstellungen kennen, ist dieses Buch ein Wiedersehen. Allen anderen macht es Lust, den Gasometer kennen zu lernen.

Zum Abschluss: Welcher ist Ihr persönlicher Lieblingsort im Gasometer?

Jeanette Schmitz: Mein persönlicher Lieblingsort im Gasometer ist der Platz auf der Tribüne mit Blick in den 100 Meter hohen Luftraum. Nirgendwo sonst lassen sich die Ausmaße dieses Raumes besser erfahren. Auch nach 25 Jahren sitze ich dort noch sehr gerne und bin immer wieder beeindruckt von der Schönheit der Industriekathedrale.


Tickets für die aktuelle Ausstellung „Der Berg ruft“ und die Veranstaltungen im Gasometer gibt es hier bei Ticketmaster.