Musik
Dexys kommen nächste Woche für Konzerte nach Deutschland | Frontman Kevin Rowland im Interview
Der Dexys Frontman Kevin Rowland erzählt im Interview mit Ticketmaster über das Warten darauf, dass die Welt ihn einholt, und wie persönliches Wachstum das neue Album inspiriert hat. Nächste Woche kommen sie nach Deutschland.
Die Kombination von kommerzieller Erfolg und Anerkennung der kritischen Fachwelt ist eine Gratwanderung, die nur wenige Künstler bewältigen können. Dexys schafft es seit über 40 Jahren. Die Nummer-1-Singles „Geno“ und „Come On Eileen“ sind Dauerbrenner auf den Tanzflächen von Hochzeitsfeiern, während ihre Alben – insbesondere „Searching for the Young Soul Rebels“, „Too-Rye-Ay“ und „Don’t Stand Me Down“ – zu Recht als geniale Werke gefeiert werden. Seit ihrer Rückkehr im Jahr 2012 haben sie nichts von ihrem Glanz verloren.
Rowland ist der Dreh- und Angelpunkt dieses unwahrscheinlichen Balanceakts: Als unberechenbarer und ehrgeiziger Visionär hat er seit langem die Vorstellung bewahrt, dass Qualität Vorrang vor Quantität hat. Mit einem atemberaubenden neuen Album „The Feminine Divine“ erlebt Ticketmaster im Interview einen Frontmann, der zwischen nachdenklicher Kontemplation und abgehackter Frustration schwankt.
Rowland verweilt nicht bei alten Geschichten, aber spricht über seine persönliche Entwicklung, seine unruhige „My Beauty”-Ära und darüber, wie er seine Gesangstrainerin zum Weinen brachte.
Kannst du die Wurzeln von „The Feminine Divine” genau bestimmen?
Um 2017 oder 2018 herum befand ich mich an einem Tiefpunkt. Ich hatte angefangen, einige Kurse zu belegen, um an mir selbst zu arbeiten. Die Kurse konzentrierten sich auf Tantra und Tao, und sie veränderten meine Sichtweise – insbesondere gegenüber Frauen.
Wie haben sich die Kurse auf deine Musik ausgewirkt?
Ich wollte eigentlich schon seit einigen Jahren keine Musik mehr machen, und ich habe diese Kurse nicht besucht, um Inspiration zum Schreiben oder Ähnliches zu bekommen. Ich habe sie nur gemacht, um mich selbst zu verbessern. Aber dann, etwa im Jahr 2020 oder 2021, änderten sich die Dinge und ich hatte das Gefühl, ich könnte wieder Musik machen. Eines Tages, gerade als das Lied „The Feminine Divine“ herauskam, setzte ich mich hin und merkte – Dexys hatte eine Richtung, wohin es gehen sollten. Das Album entstand mit der Hilfe von Mike (Timothy – Keyboards), Jim (Paterson – Posaune) und Sean (Read – Gitarre), und irgendwann hatte ich eine Liste der Songs und dachte: „Wenn ich diesen Song als ersten nehme, diesen als zweites und so weiter, dann erzählt dieses Album eine richtige Geschichte.”
Dexys sind nicht die produktivste Band der Welt, aber eure Messlatte liegt immer hoch. Wie gut kannst du die Qualität deiner Ideen beim Schreiben einschätzen?
Ich habe neulich darüber nachgedacht, dass ich Dinge nur nach meinen eigenen Maßstäben tun kann. Dexys schreiben nicht 30 Songs und wählen dann 10 oder 11 für ein Album aus. Das machen wir nicht. Wenn mich etwas nicht inspiriert, werde ich es nicht wieder in die Hand nehmen. Ich kann mich nicht darum kümmern. Ich fange einfach neu an. Da habe ich entweder Glück oder Pech, je nachdem, wie man es betrachten möchte.
Ist es schwierig, wenn Bandmitgliedern eine Idee gefällt und sie weiterverfolgen wollen, du aber nicht?
Nein. Sie alle leisten ihren Beitrag, aber ich bin der Anführer, und wenn ich mit etwas nicht zufrieden bin, machen wir es nicht.
Das ist dann das Ende davon!
Nun, sie haben auch hohe Standards. Und wenn ich mir nicht sicher bin, frage ich vielleicht: „Was haltet ihr von dieser Idee?“ Wenn sie wirklich darauf bestehen, dass etwas großartig ist, mache ich vielleicht mit. Ich habe nicht immer alle Antworten.
Alex James von Blur behauptete kürzlich in zwei Interviews – eines mit The Times und eines mit Chris Moyles auf Radio X –, dass du ihm gesagt hättest, dass ihr „Geno“ (Nr. 1-Single von 1980) nicht mehr spielen würdet. Ist das wahr?
Ich weiß nicht, woher er das hat. Wir haben es auf der Tour gespielt. Wir schämen uns nicht für unsere Hits. Wir spielen „Come On Eileen“ und „Geno“. Ich weiß nicht, wovon er redet. Absoluter Quatsch.
Im Jahr 1999 hast du heftige Gegenreaktionen erlebt, als du dich für dein Soloalbum „My Beauty“ als Drag Queen verkleidet hast. Es ist bekannt, dass du nach dieser Aktion viel Gegenwind bekommen hast.
Es war nicht angenehm. Es tat weh. Ich habe es persönlich genommen und hätte es wahrscheinlich nicht tun sollen. Am Ende des Tages war es nur Kleidung, aber die Leute haben sich darüber so aufgeregt. Aber das ist Geschichte. Jetzt ist es anders.
Heutzutage ist das Konzept der männlichen Verletzlichkeit, der Geschlechterflexibilität und des Rechts einer Person, gesellschaftliche Normen in Frage zu stellen, eher willkommen.
Das ist wahr. Damals [1999] wollte ich einige weibliche Aspekte von mir annehmen und das war mein erster wirklicher Ausflug in diese Welt. Unterbewusst habe ich es nach der Reaktion auf „My Beauty“ und diesen Fotos aufgegeben. Wenn ich jetzt zurückblicke, kann ich sehen, dass ich einfach nur die Schotten dicht gemacht habe. Aber die letzten paar Jahre haben mich wirklich aufgeweckt. Ich löste meinen Kopf und kam in Kontakt mit meinem Körper, und ich begann, ehrlicher darüber zu werden, wer ich bin und was ich tun möchte. Dazu gehört auch, ehrlicher darüber zu sein, dass ich weibliche Energien habe. Es ist keineswegs alles männlich.
Man kann auch mit Fug und Recht sagen, dass die Reaktion, die du mit „My Beauty“ hervorgerufen hast, jetzt nicht eingetreten wäre.
Nein, definitiv nicht.
Vielleicht zeigt das, dass die Fülle der Zeit manchmal Rechtfertigung bringt.
Ja. Bleib bei dem, woran du glaubst, und sei, wer du bist. Die Welt wird dich einholen.
Kürzlich habe ich gesehen, wie du Stücke vom neuen Album performt hast, und war beeindruckt, wie außergewöhnlich dein Gesang immer noch ist. Hast du ein Ritual, um deine Stimme in so einem hervorragenden Zustand zu halten?
Dankeschön. Ich habe eine großartige Gesangslehrerin namens Kim Chandler und sie hilft mir sehr. Ich mache fast jeden Morgen Atemübungen. Ich arbeite wirklich hart daran. Und auf Tour muss ich wie ein Mönch leben.
Wann hast du mit der Umsetzung dieses Rituals begonnen?
Als ich mit [dem Comeback-Album 2012] „One Day I’m Going to Soar” zurückkam. Ich hatte schon lange nicht mehr gesungen, also musste ich noch einmal von vorne anfangen.
Es hat sich ausgezahlt. Dein Gesang bei „My Submission“ von „The Feminine Divine” ist wohl einer deiner besten überhaupt.
Ich bin wirklich glücklich [mit diesem Lied]. Tatsächlich brach meine Gesangslehrerin in Tränen aus, als ich ihr das Demo von „My Submission“ vorgespielt habe.
Das muss ein ziemliche starker Moment gewesen sein.
War es. Normalerweise mache ich ein Demo, lege einen Leitgesang drauf und frage sie dann um Rat. Oft sagt sie: „Ich denke, das könnte anders sein“ oder sie schlägt mir eine Übung vor, die es mir ermöglicht, eine Note besser zu treffen. Diesmal sagte sie: „Kevin, ich weine weil es so gut ist. Ändere nichts.“ Sie sagte mir, dass alles, was sie mir beigebracht hatte, in diesem Gesang enthalten sei, also ließen wir es so, wie es war.
Glaubst du, dass „The Feminine Divine“ für Dexys der Anfang einer anhaltenden Aktivität sein wird?
Wir haben einige Ideen, die ich gerne in die Tat umsetzen würde, aber es ist eine Frage, wie lange diese Kampagne dauert und wie wir uns danach fühlen. Wir werden wahrscheinlich eine kleine Pause brauchen. Und jeder hat andere Projekte im Kopf. Ich habe auch ein paar Dinge, die ich tun möchte. Dann ist es eine Frage des Zeitpunkts, aber ich würde auf jeden Fall gerne ein weiteres Album machen.
Was können Fans von der Tour erwarten?
In der ersten Hälfte wird „The Feminine Divine“ auf der Bühne aufgeführt. Das Album ist ein Drama, also werden wir auch die Musik und die Erzählung spielen. Es wird sehr theatralisch. Claudia Chopek ist die weibliche Protagonistin und spielt alle weiblichen Rollen, und ich werde die männliche Rolle spielen. Dann gibt es eine Pause und wir kommen zurück und spielen die alten Sachen.
Wenn du einen Moment zurückblickst und an die Anfänge der Band denkst, erkennst du dann den jungen Kevin Rowland?
Ich bin jetzt ein völlig anderer Mensch.
Bist du glücklicher? Zufriedener?
Ja, auf jeden Fall. Aber ich habe hart daran gearbeitet und bin immer noch in der Entwicklung – ich bin nicht erleuchtet oder so, aber mir geht es gut. Keine Beschwerden.
Wenn du deinem jüngeren Ich einen Rat geben könntest, welcher wäre das?
Ich würde wahrscheinlich einfach sagen: „Entspann dich … und genieße es.“
(Aus dem Englischen von Greg Wetherall)
Dexys Tour 2023 | Deutschland-Konzerte
- 02.10.2023, München – Muffathalle
- 05.10.2023, Hamburg – Kampnagel
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